Page 245 - CYC Chronik 2013
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sen war. Unser Vorstand machte kräftig Dampf gegen die Schratzsegelei, weil auf dieser Basis kein internationales Regattawesen aufzubauen war. Neue Bootsnummern (230 und folgende) waren nur noch an die benachbarte Yacht- schule des Deutschen Hochseesportverbandes Hansa und an die Bootsverleiher zu vergeben. Schule und Verleiher wussten zu schätzen, dass das Schratzboot geringe An- fangsstabilität aufweist, so dass es kippelig erscheint, aber hohe Endstabilität besitzt. Es kentert nicht so leicht. Boots- verleiher lassen wohl noch heute Schratzboote bauen, ver- geben aber die Nummern ohne Verband unter sich.
Die Akten des Schratzseglerverbandes bewahrte ich auf, bis das Verkehrsamt von Rimsting sich erbot, die Schratzsegelei wieder zu beleben. Ich übergab die zwei di- cken Aktenordner. Heute scheinen diese jedoch nicht mehr zu existieren. Das Verkehrsamt soll einmal (vor etwa zehn Jahren) eine rigorose Entrümpelung vorgenommen haben.
Die Geschichte mit dem Rehbock, die am Chiemsee immer noch die Runde macht, ist nicht meinem Vater, son- dern mir passiert und ganz anders, als Zeitung und Gerücht wiedergaben. Nach dem Sieg bei einer Regattaserie wollte der Vater am Sonntagabend nicht mehr zur Preisverteilung im Schlosshotel auf die Herreninsel fahren und begab sich beizeiten zurück nach München. Ich hatte Ferien und sollte die Preise in Empfang nehmen. Für das vorgesehene Fähr- schiff war es jedoch schon zu spät. Ich machte also bei un- serem Boot seitlich die Persenning etwas auf und paddelte auf dem kürzesten Wege zur Herreninsel, zum südwestli- chen Hochufer, das in vorgeschichtlicher Zeit einmal als Fluchtburg aufgeschüttet worden war. Um auf dem Ufer- weg die rechte Stelle wieder zu finden, legte ich einen Ast quer über den Weg. Als Preis gab es für den Skipper eine große, schwere Möwe aus Bronze, für den Vorschotmann einen silbernen Leuchter. Die Fliegende Möwe gab ich an der Garderobe ab, der Leuchter leuchtete mir auf meinem Rückweg durch die tiefschwarze Nacht. Plötzlich hörte ich links des Weges Geräusche im Wald. Die Geräusche ver- stummten, wenn ich stehen blieb. Schließlich erschien im Kerzenschein ein Reh. Wie schön! Doch das Tier senkte
den Kopf, die Gewichtel des Rehbocks wurden sichtbar und der Bock ging auf mich los. Ich musste den Leuchter fallen lassen und mit dem Bock auf Leben und Tod kämp- fen. Keiner konnte den Anderen sehen. Mit keinem Mittel war der Rehbock zum Aufgeben zu bringen. Schließlich ge- lang es mir, mich über ihn zu werfen und ihm den Hals um- zudrehen. Jämmerlich erscholl sein Geschrei. Doch als ich nachließ, griff er sofort wieder an. Ich musste ihn töten.
Die staatliche Schlösserverwaltung hatte das stößig ge- wordene Tier einfach auf der Herreninsel ausgesetzt, wo es sogleich eine Frau angriff, die sich jedoch mit dem Kin- derwagen verteidigen konnte ... Ich tat mich in der Nacht und ohne Kinderwagen schwerer.
1952
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