Page 85 - CYC Chronik 2013
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(Backbordhalsen). Und auch die Manöver wurden bespro- chen, also z. B. die Wende, bei der der Steuermann laut, ich betone LAUT, zu rufen hatte „KLAR ZUR WENDE“, und nachdem die Mannschaft bestätigt hatte „IST KLAR“, das Kommando „REE“ gegeben werden musste.
Auch die Praxis kam selbstverständlich zu ihrem Recht. Der Präsident stellte damals seinen 20 qmm Jollenkreuzer als Schulschiff zur Verfügung, und wir Anfänger beeilten uns, das Schiff zu besteigen, nicht ohne uns vorher die klei- nen Steinchen aus den Schuhsohlen gepult zu haben, denn der Ferdl legte größten Wert darauf, dass wir das schöne Deck nicht verkratzten, es war nämlich er, der es wieder hätte lackieren müssen. Und wir wollten so schnell wie möglich „auftakeln“, das war ein Wort, das wir natürlich schon kannten. Oh je, schon wieder falsch, es hätte heißen müssen „Segel setzen“, denn auftakeln bedeutet nach der Seemannschaft „ein Schiff mit Takelage versehen“, und das war ja bereits geschehen. Und so durften wir, nachdem wir endlich unter Ferdls strengen Augen die Segel gesetzt hat- ten, das tun, worauf wir schon lange gewartet hatten: se- geln. Immer schön „am Wind“, „raumschots“ oder einfach „da hinüber“ oder „fährst mal genau zum Dampfersteg“. Wir waren ja alle Anfänger damals und stellten uns alle mehr oder weniger geschickt oder ungeschickt an. Aber der Ferdl, in seiner Geduld korrigierte uns immer wieder, und Sätze wie „was fährst du denn da wieder für einen Kuh- schwanz“ konnten schon als Gefühlsausbruch gewertet werden. Auch den „Alles klar zum Speigatten kalfatern“- Spruch vom Michael nahm er erst mal hin, nur, als es ihm zu bunt wurde, sagte er „Jetzt hör mal auf mit dem Schmarrn!“, nicht ohne jedoch vorher den Sachverhalt zu erklären. Und spätestens da wussten auch die Anfänger, dass das wirklich „ein Schmarrn“ war. Die Herausforderun- gen wurden dann schon größer, wenn der Ferdl verlangte, ein Manöver zu machen. Der arme Steuermann musste nun natürlich die Kommandos parat haben und sie auch mög- lichst laut geben. Wir alle haben dann Ferdls stereotype Anmerkung „ich hör nichts“ mit laut gebrüllten Kommandos quittiert, und damit war er dann zufrieden.
Großen Wert legte der Ferdl auf Knoten und Spleissen, auch Takeln haben wir gelernt. Und so kann ich heute noch blind einen doppelten Palstek und Leinen oder Schoten ohne Takling sind mir ein Gräuel.
Der Tag der A-Scheinprüfung rückte immer näher, und
wir übten, was das Zeug hielt. Webeleinsteks wurden an abgewinkelten Armen zum wiederholten Mal geknotet und wir fragten uns gegenseitig aus über Wegerecht oder wel- che Kommandos bei „Mann-über-Bord“ zu geben wären. Wir hatten uns das alles gemerkt, denn Bücher gab es keine.
Der Ablauf der Prüfung ist schnell erzählt. Sie wurde vom Dorn Ferdl und vom Präsidenten Nippus abgenom- men. Jeder von uns musste ein paar Knoten vorführen und jeweils eine Wende, eine Halse, ein Mann-über-Bord-Ma- növer und vielleicht noch ein Anlegemanöver fahren. Da wir uns alle die Seele aus dem Leib schrieen, musste der Ferdl kein einziges Mal „ich hör nichts“ sagen. Wir haben alle bestanden.
Eine ereignisreiche Woche ging zu Ende, wir haben die Grundzüge der Seemannschaft gelernt und den Umgang mit dem Boot, den Segeln, dem Wasser und dem Wind. Und - ich hatte keine Angst mehr.
Die Weserjolle
Richard Brandl
In den frühen Jahren der Jugendausbildung stellten Clubmitglieder ihre Boote zu Ausbildungszwecken zur Ver- fügung. So wurde der 20 qm Jollenkreuzer des Präsiden- ten Nippus zum Ausbildungsschiff genauso wie die „We- serjolle“ der Familie Kalbskopf (der Name ist nicht erfun- den), die von Hannelore von Kemnitz kurzerhand in „Tête de Veau“ umgetauft wurde. Die Weserjolle war als Boot nicht besonders attraktiv, weshalb alle Segelschüler und auch der Dorn Ferdl nach Möglichkeit versuchten, einen Platz auf einem anderen Boot zu ergattern. Diesen Sach- verhalt verpackte unser Freund Burkardt Klaussner, heute ein bekannter Film- und Fernsehschauspieler, in folgendem Gedicht:
Die Weserjolle, wie ihr wisst,
ist der plumpste, allergrößte Mist. Jeder, der auf die Jolle kam,
war später angefüllt mit Gram.
Selbst der alte Ferdinand,
in seiner Seele unerkannt,
blieb gern mit Freuden fern dem Schiff, was ihm nicht zu verübeln ist.
1959
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