Page 146 - CYC Chronik 2013
P. 146

Die 24-Stunden 1969
146
nuten ist die „Argo“ wieder flott. Trotzdem weiß niemand, ob „Xenophon“ nicht inzwischen durchgelaufen ist. Aus tak- tischen Gründen benutzen diese beiden Boote nur in drin- genden Fällen ihre Beleuchtung. Auch fahren sie lautlos funktionierende Winschen. Den meisten Steuerleuten, die bisher keine Sekunde die Pinne aus den Händen gelassen haben, kriecht nun trotz dicker Pullis und Ölzeug langsam die Kälte und die Müdigkeit unter die Haut, und sie über- lassen resigniert und apathisch einem ihrer Mitstreiter das Ruder, wenn nicht sogar der eigenen Ehefrau. Alsbald hört man sie friedlich unter Deck am Kajüttisch sägen. Der Wind hat auf Süd gedreht und merklich abgeflaut. Wer nun etwas Glück und Gespür hat, kann eine Menge aufholen, da der Wind äußerst unregelmäßig weht. Wie einen schwei- genden Fackelzug sieht man die Boote an sich vorbeiglei- ten, sofern man nicht mit Fortuna zur Seite an den anderen vorbeizieht. Ehrfurchtsvolles Schweigen herrscht allerseits, und selbst der Geselligste und Redseligste an Bord hat kein Bedürfnis, diese erhabene Ruhe zu stören.
Bei Morgengrauen muss so mancher sanft geweckte Skipper feststellen, dass seine Fockaffen oder gar seine bessere Hälfte ganze Arbeit geleistet und seinen geliebten Untersatz aus hoffnungsloser Position wieder nach vorn gesegelt haben. Mit einem etwas verlegenen Lächeln aus winzigen Äuglein bemächtigt er sich wieder der Pinne.
Selbst der dickste Pulli vermag jetzt nicht zu wärmen. Eingemummt wie ein Eskimo und mit vor Müdigkeit und Kälte erstarrten Stimmbändern sitzt man wortlos in der Plicht und wirft sehnsuchtsvolle Blicke nach Osten, wo die Sonne bald aufgehen soll. Ausnahmen gibt es natürlich auch unter den Seglern, und die bringen sich gegenseitig ein Ständchen, dass man meinen könnte, sie würden für ihren Gesang bezahlt. Unterdessen gibt es auf beiden füh- renden Booten keine Verschnaufpause. So mancher Skip- per eines geliebten Ausgleichers musste angesichts der im Morgengrauen auftauchenden Bootssilhouetten bald seinen Funken Hoffnung, doch nicht mehr so weit hinten zu sein, wieder begraben, da er ein weiteres Mal von den beiden Vierzigern überrundet worden ist. „Xenophon“ ist
wieder in Führung gegangen und läuft mit eindrucksvoller Geschwindigkeit bei Westwind Stärke vier gleich „Argo V“ mit drei Mann im Trapez etwa 200 Meter in Führung lie- gend raumschots nach Seebruck. Auch die übrigen Boote werfen nun ihre letzten Reserven ins Rennen, und in An- wandlungen von Heldenmut werden sogar Spinnaker ge- setzt. Unter beängstigenden Luvkrängungen geigen die Boote vor dem Wind, und mit aufatmender Mannschaft er- reichen sie den Wendepunkt.
Alles spitzt sich jetzt auf den Zweikampf zwischen „Xe- nophon“ und „Argo V“ zu. Jener Wendepunkt, der bis 14.00 Uhr als letzter gerundet wird, gilt als Ziel. Im Kanal geht „Argo V“ durch ein taktisch kluges Manöver und einigem Glück an „Xenophon“ vorbei und gewinnt wieder mit etwa 100 Metern Vorsprung die ,,24 Stunden vom Chiemsee“.
Im Club hat man wieder für einige Zeit sein Tagesge- spräch – abgesehen davon, dass ohnehin fast jeder zumin- dest in seiner Klasse Sieger geworden wäre, wenn nicht ...
40 qm Schärenkreuzer „Xenophon“.


























































































   144   145   146   147   148